Leipzig 1989: Friedliche Revolutionstage

Demozug

Bild: Demonstration am 16. Oktober 1989

„Wir Kirchengemeinden haben das ja nicht vorbereitet, mit einem Mal waren wir mittendrin," sagt Hans-Jürgen Sievers über die Ereignisse in Leipzig und der DDR im Herbst 1989. Sievers war von 1974 bis 2005 Pastor der evangelisch-reformierten Gemeinde in Leipzig. Heute - zurückblickend auf das Jahr der friedlichen Revolution in der DDR - stehen für ihn drei Montagabende im Blickpunkt.

 

Montag, 2. Oktober 1989: „Friedensgebet auch in der reformierten Kirche"

Spätestens mit dem Friedensgebet in ihrer Kirche sind Hans-Jürgen Sievers und seine Gemeinde unmittelbar in die Revolutionszeit eingebunden. Die Leipziger Friedensgebete hatten ihren Ausgangspunkt 1982 in der Nicolaikirche. Dort trafen sich zunächst Ausreisewillige, um einander beizustehen. Als die Kirche am 25. September 1989 wegen Überfüllung geschlossen werden musste, fragte einige Tage später der lutherische Superintendent Friedrich Magirius, ob die reformierte Gemeinde ihre Kirche - 300 bis 400 Meter entfernt - nicht am kommenden Montag auch dafür öffnen könne. Es blieb nur wenig Zeit zur Entscheidung und Sievers konnte nur nicht mit allen Kirchenratsmitgliedern Rücksprache halten. Trotz der Sorgen, trotz der Drohungen des Staates, die Friedensgebete abzusetzen, entschieden sich alle mit ein bisschen Unsicherheit dafür. Am nächsten Montag, dem 2. Oktober, war die Nicolaikirche zu Beginn des Friedengebets um 17.00 Uhr wieder übervoll. Ein Schild wies die Besucher zur reformierten Kirche, und diese war dann ab 17.10 Uhr voll. Die Predigt hielt der katholische Pater Bernhard aus Leipzig-Grünau. Nach dem Gottesdienst leerte sich die Kirche schnell und alle Besucher strömten zur Nicolaikirche und zum Karl-Marx-Platz, um mit 25.000 Menschen zu demonstrieren. Später kamen sie dann auf dem Demonstrationsweg an der Kirche vorbei, vor der 50 Meter von Eingang entfernt Polizei und Kampftruppen versuchten, den Zug aufzuhalten.

LKW

Bild: Festnahme von Bürgerrechtlern, 11. September 1989

Montag, 9. Oktober 1989 : „Die Menschen müssen unter das Gebet, wer betet, der prügelt nicht"

Auch an diesem Montagabend, war die reformierte Kirche in Leipzig überfüllt, die Polizei soll 1.800 Besucher des Friedengebets gezählt haben. An diesem Abend waren vor dem Demonstrationszug die Nicolai-, die Thomas- die Michaelis- und die reformierte Kirche für Friedensgebete geöffnet.

Diesem 9. Oktober voran ging der 40. und letzte Geburtstag der DDR, der Nationalfeiertag am 7. Oktober Allein in Leipzig kam es nach Demonstrationen von über 4.000 Personen zu 210 Verhaftungen. Und so herrschte unter den Kirchenvertretern große Sorge, ob es friedlich bleiben würde oder ob die staatlichen Kräfte die Proteste niederschlagen würden. Schon vorher hatten die Leipziger Pastoren erkannt, so Hans-Jürgen Sievers, dass die Menschen von den Kirche ein Zeichen erwarteten und das musste ein Friedenszeichen sein fasst Hans-Jürgen Sievers die Aufgabe heute zusammen. „Alle wussten, der nächste Montag bringt die Entscheidung". Hans Jürgen Sievers predigte im Friedensgebet in der reformierten Kirche zu 1. Kor. 13, 11. „Da ich eine Kind war, redete ich wie ein Kind, war klug wie ein Kind und hatte kindliche Ansichten; da ich ein Mann war, aber tat ich ab, was kindlich war. Am Abend des 9. Oktober demonstrierten dann nach den Friedensgebeten trotz großer Angst vor bewaffneten Auseinandersetzungen über 70.000 Bürger auf dem Leipziger Ring gegen das SED-Regime. Die bereit stehenden 8.000 Polizisten, Angehörige der Kampfgruppen und auch Soldaten der NVA kamen nicht zum Einsatz: „Das Wunder von Leipzig". Es war der erste Montag ohne Polizeieinsatz und ab jetzt wurde es auf den Straßen Leipzigs von Montag zu Montag friedlicher. Am 23. und 30. Oktober waren in Leipzig 300.000 Menschen auf der Straße. Am 9. November fiel die Mauer.

 

Montag, 4. Dezember 1989: Das Stasi-Gebäudes fällt.

Noch einmal Angst vor Gewalt brachte der 4. Dezember. Während der Montagsdemonstration besetzten Mitglieder eines Bürgerkomitees das Stasi-Gebäude in Leipzig, die sogenannte „Runde Ecke", an der sie an allen anderen Montagen zuvor vorbeigezogen waren. Auch jetzt lief es friedlich ab und die letzte Bastion des DDR-System fiel über Nacht vor den Demonstranten zusammen.

Hans-Jürgen Sievers

Bild: Hans-Jürgen Sievers im Oktober 2009

Nicht der 9. November, der Tag des Mauerfalls, war für Hans-Jürgen Sievers der entscheidende Tag. Er überschreibt den 9. Oktober 1989 als „Sieg der Revolution".

 

Informationen: Die Evangelisch-reformierte Kirche zu Leipzig war zu DDR-Zeiten eine selbständige Gemeinde und arbeitete mit den beiden anderen freien reformierten Gemeinden in Bützow und Dresden zusammen. Nach der Wiedervereinigung schlossen sich die Gemeinden  Bützow und Leipzig sowie die Leipziger Zweiggemeinde Chemnitz/Zwickau der Evangelisch-reformierten Kirche an. Sie gehören zum XI. Synodalverband, der Evangelisch-reformierten Kirche in Bayern. Die reformierte Gemeinde Dresden blieb bis heute selbständig.

 

Hans-Jürgen Sievers hat über die Zeit der deutschen Revolution in Leipzig ein Buch herausgegeben. Die Friedensgebet des Herbstes 1989 bilden das Gerüst seiner Aufzeichnungen. Es kostet 9,50 Euro und ist über den Internetbestellshop zu beziehen.